VI. Zivilsenat. Urt. v. 8. Juli 1924 i. S. Sizzo Prinz von Schwarzburg (Kl.) w. Land Thüringen (vorm. Freistaat Schwarzburg-Rudolstadt) (Bekl.). VII 795/23.

(Entscheidungen des Reichsgerichts, Zivilsachen, Bd. 109, S. 11)

I. Landgericht Rudolstadt.

II. Oberlandesgericht Iena.

Der Kläger war durch Landesgesetz vom 1. Juni 1896 zur Nachfolge in die Regierung und das Kammergut des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt berufen worden. Fürst Günther zu Schwarzburg, der, abgesehen von dem Kläger, der letzte kinderlose Agnat des Schwarzburgischen Gesamthauses war, verzichtete am 23. November 1918 auf die Regierung in Schwarzburg-Rudolstadt, nachdem er am Tage zuvor mehrere Gesetze erlassen hatte, die den Übergang des Landes zum Freistaat regeln sollten. Durch diese Gesetzgebung wurde auch bestimmt, daß das Fürstliche Hausfideikommißvermögen (Kammergut) mit gewissen Einschränkungen in das Eigentum des Staates übergehen und demgemäß die Umschreibung des dazu gehörigen  Grundbesitzes erfolgen sollte.

Der Kläger erachtet diese Verfügungen über das Kammergut als für ihn unverbindlich. Mit der Klage beantragte er in erster Reihe, festzustellen, daß der Staat an dem zum Kammergute gehörigen Jagdschlosse Ratsfeld, zum mindesten dem Kläger gegenüber, kein Eigentum erworben habe, daß dieses vielmehr noch im fideikommissarischen Eigentume des Fürstlichen Hauses Schwarzburg stehe und nach dem Tode des Fürsten Günther im Wege der hausrechtlichen Erbfolge dem Kläger oder dessen ebenbürtigen Nachkommen zufalle. Hilfsweise beantragte er Verurteilung des Staats zur Zahlung von 100 000 M nebst Zinsen.

Das Landgericht wies die Hauptanträge ab und verurteilte den Staat, dem Kläger nach dem Ableben des Fürsten Günther 100 000 M zu bezahlen. Hiergegen legten beide Teile Berufung ein. Der Staat verlangte völlige Abweisung der Klage und erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs, während der Kläger ans seine Hauptanträge zurückkam und auch den Hilfsantrag aufrecht erhielt. Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Klägers zurück und erkannte wegen Unzulässigkeit . des Rechtswegs auf völlige Abweisung der Klage.

Aus Revision des Klägers erkannte das Reichsgericht am 9. März 1923 (VII 2I2/22), daß wegen der Hauptanträge der Klage der Rechtsweg unzulässig, die vom Oberlandesgericht ausgesprochene Klagabweisung mithin insoweit zu bestätigen sei, daß hingegen wegen des aus Entschädigung in Geld gerichteten Hilfsantrags der Rechtsweg für zulässig zu erklären, das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen sei.

Nachdem mit Ablauf des 31. März 1923 die ehemaligen thüringischen Einzelstaaten als Kommunalverbände zu bestehen aufgehört haben, und das Land Thüringen ihr Rechtsnachfolger geworden ist, trat dieses an Stelle des Freistaats Schwarzburg-Rudolstadt in den Rechtsstreit ein. Der Kläger beantragte in der erneuten Berufungsverhandlung, den Staat zur Zahlung einer nach Ziffer und Auswertung näher angegebenen Geldsumme zu verurteilen. Der Staat beantragte, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, dagegen auf seine Berufung die Klage gänzlich abzuweisen. Das Oberlandesgericht erkannte dahin, daß der Kläger auch mit seinem Hilfsanspruch abgewiesen werde. Die abermals vom Kläger eingelegte Revision blieb erfolglos.

Gründe:

In dem nunmehr angefochtenen Urteil geht der Berufungsrichter davon aus, daß dem Kläger für die Entziehung seines Anwartschaftsrechts auf das fürstlich Schwarzburg- Rudolstädtische Hausfideikommißvermögen (Kammergut) nach gemeinrechtlichen Grundsätzen ein Entschädigungsanspruch gegen den Staat zustehen würde, wenn er ihm nicht durch das Landesgesetz vom 22. November 1918 betreffend die Abfindung des Fürstlichen Hauses nach dem Verzicht des Fürsten auf die Regierung (GS. für das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt 1918 Nr. 30 S. 78) abgesprochen worden wäre. Der Vorderdichter nimmt an, daß dies geschehen sei, und gelangt so zur Abweisung des allein noch im Streite befangenen Entschädigungsanspruchs.

Wenn die Revision ferner meint, das Berufungsgericht habe nicht, wie es erforderlich gewesen sei, einen ausdrücklichen Ausschluß des Entschädigungsanspruchs festgestellt, so ist darauf hinzuweisen, daß es ausspricht, das Gesetz versage dem Kläger eine Entschädigung sehr deutlich. Es muß genügen, wenn der zweifelfreie Sinn des Gesetzes ermittelt wird. Die Auslegung des Vorderrichters ist im übrigen der Nachprüfung im gegenwärtigen Rechtsgange entzogen, da nach § 549 Abs. 1 ZPO. in Verbindung mit § 1 der Verordnung vom 28. September 1879 die Revision auf die Verletzung der Schwarzburg-Rudolstädtischen Gesetze vom 22. November 1918 nicht gestützt werden kann. Dem landesrechtlichen Gebiete würde auch die von der Revision berührte Frage angehören, ob der Ausschluß des Entschädigungsanspruchs in dem das Anwartschaftsrecht des Klägers vernichtenden Gesetze selbst ausgesprochen werden durfte oder ein besonderes Gesetz erforderte. Doch sei bemerkt, daß keinesfalls gemein-rechtliche Grundsätze dem entgegenstehen, daß der Ausschluß durch dasselbe Gesetz erfolgte, welches den Eingriff vornahm.

Die Revision führt weiter aus, ein Landesgesetz hätte den Entschädigungsanspruch nur dann mit privatrechtlicher Wirkung entziehen können, wenn es sich in den reichsrechtlichen Schranken gehalten hätte. Das durch Art. 57 EG. BGB. als subsidiäre Rechtsquelle aufrecht erhaltene gemeine deutsche Privatfürstenrecht habe daher durch die Landesgesetzgebung nicht abgeändert werden können. Dieses kenne nicht die Möglichkeit eines Eingriffs der Landesgesetzgebung in die auf seinem Boden erwachsenen privatrechtlichen Ansprüche gegen den Staat auf Entschädigung wegen der Entziehung von Anwartschaften. Die hierin enthaltene Rüge der Verletzung des Art. 57 EG. BGB. würde nur dann zum Erfolge führen können, wenn diese gesetzes-Vorschrift den Satz enthielte, daß die Hausverfassungen der landesherrlichen Familien, als deren Bestandteil beim Fehlen besonderer Rechtsnormen subsidiär auch das gemeine deutsche Privatfürstenrecht in Betracht kommt, den Landesgesetzen vorgingen, daß also hausrechtliche Bestimmungen durch die Landesgesetzgebung nicht geändert werden durften. Jedoch ist zu verneinen, daß dem Art. 57 diese Tragweite innewohne. Entsprechend seiner Stellung in dem Abschnitt, der das Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu den Landesgesetzen regelt, beschränkt er sich darauf, bezüglich des Rechts-Zustandes der Landesherren und der Mitglieder ihrer Familien Reichsrecht und Landesrecht voneinander abzugrenzen. Das letztere setzt sich ans den Hausverfassungen und en Landesgesetzen zusammen; zwischen diesen beiden Gattungen von landesrechtlichen Rechtsnormen die Grenze zu setzen, war das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch nach den Zwecken, die es verfolgte, nicht berufen, vielmehr hat es sicherlich auch insofern den Rechtszustand, der am 1. Januar in den einzelnen Bundesstaaten herrschte und gemäß dem Landesrechte auch geändert werden konnte, unberührt lassen wollen. Dies muß um so mehr angenommen werden, als es sich bei dem Verhältnis zwischen Hausverfassung und Landesgesetz wesentlich um eine Frage des öffentlichen Rechts handelt, in das einzugreifen die privatrechtliche Gesetzgebung des Reichs keine Veranlassung hatte. eren Vorarbeiten ergeben keinen Anhalt dafür, daß eine andere Auslegung des Art. 57 geboten wäre. Zwar heben die Motive zu dem Entwurfe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Bd. 1 S. 10 flg.) hervor, die Autonomie der souveränen Häuser müsse, wie sie bisher bestanden habe, auch ferner bestehen, aber der weitere Verlauf der Erörterungen, wo es heißt. "Das Bürgerliche Gesetzbuch kann insoweit nur subsidiäre Geltung habend es gehen ihm vor sowohl die zur Zeit der Einführung bestehenden als auch die künftig erlassenen haus- oder landesgesetzlichen Vorschriften zeigt deutlich, daß eine Wahrung jener Autonomie nur gegenüber dem Reichsrecht beabsichtigt war.

Hiernach ist dem Art. 57 eine Norm, die dem Erlasse der Schwarzburg-Rudolstädtischen Gesetze vom 22. November 1918 entgegenstände, nicht zu entnehmen, und es bedarf somit keines Ein — Gehens auf die Frage, ob damals der Kläger Mitglied des Schwarzburgischen Fürstenhauses war. Ebenso mag dahinstehen, ob etwa das gemeine deutsche Privatfürstenrecht den Satz enthält, daß die Landesgesetzgebung nicht befugt fei, Entschädigungsansprüche von der Art des hier verfolgten auszuschließen. Sollte dies der Fall fein, so würde der jedenfalls nur subsidiär geltende Satz ans dem in Rede stehenden Rechtsgebiet um deswillen keine Anwendung leiden können, weil nach dem Rechtszustand in Schwarzburg-Rudolstadt die Angelegenheiten des Kammerguts der Regelung durch die Landesgesetzgebung unterlagen. Dies geht daraus hervor, daß das Grundgesetz (Verfassung) vom 21. März 1854 (GS. S. 35) einen Abschnitt. ,,Von den Domänen" (§§ 9, 10, 11) enthält, der die Eigentumsverhältnisse am Kammergute regelt und über seine Verwaltung, Veräußerung und die Verwendung seiner Einkünfte Bestimmungen trifft.

Die Revision sucht schließlich darzulegen, daß die dem Kläger gegenüber vorgenommene Rechtsentziehung insofern gegen das Reichsrecht verstoße, als die Grundsätze des Art. 153 RVerf. vom August 1919 für verletzt zu erachten seien. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Enteignung —  wenn eilte solche im Sinne jener Vorschrift überhaupt vorliegt —  als am 1. April 1919 vorgenommen zu gelten hätte (vgl. § 3 des Gesetzes vom 22. November 1918 über das Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtische Hausfideikommißvermögen, GS. 1918 Nr. 29 S. 76), also vor dem Inkrafttreten der Reichsverfassung erfolgt wäre. Vorher gab es keine reichsrechtlichen Grundsätze von der Art, wie sie im Art. 153 RVerf. aufgestellt find, vielmehr war das in Rede stehende Rechtsgebiet durch Art. 109 EG. BGB. ausdrücklich der Landesgesetzgebung überlassen worden. Abgesehen von der hier nicht interessierenden prozeßrechtlichen Bestimmung, daß wegen der Höhe der Entschädigung für eine Enteignung der ordentliche Rechtsweg eröffnet wird, können mithin die neuen Rechtsgrundsätze des Art. 153 RVerf. ans frühere Enteignungen keine Anwendung finden.